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thema Begabte
Die Begabten - Fallbeispiel Juanita Gonzales
von Manfred Weinland
Sie hat noch gar nicht realisiert, wie besonders sie ist: Juanita Gonzales,
das elfjährige Mädchen, das erst seinen Vater und dann seine
Mutter verlor. Die Vollwaise traf in den Slums von Rio schließlich
auf einen Menschen, der keiner ist: auf John Brown/Jim Smith, der eigentlich
Gisol heißt und zum Volk der Worgun gehört. Und die sind, das
wissen wir inzwischen, identisch mit den langgesuchten Mysterious - den
Erbauern der POINT OF, des Industriedoms, der Erron-Stationen und, und,
und - die Liste ließe sich endlos fortsetzen.
Juanita nennt eine erstaunliche Gabe ihr eigen. Sie besitzt das Talent, sich "psychisch
unsichtbar" zu machen. Soll heißen: Ihr Geist strahlt in Gefahrensituationen
unbewußt eine Frequenz aus, die die Hirnfunktion anderer soweit manipuliert,
daß diese sie nicht mehr wahrnehmen, sondern praktisch übersehen.
Juanita ist in diesem Moment nicht wirklich unsichtbar, und ein Roboter ließe
sich von ihrer "Aura" niemals täuschen, aber sie entrückt völlig
der Sinneswahrnehmung ihrer biologischen Gegenüber.
Als Erklärung dafür ziehen jene, die sich auszukennen meinen, ein Phänomen
heran, das seit 2010 und verstärkt seit etwa 2040 beobachtet wird: Seit
diesen Zeitmarken kann statistisch zurückverfolgt werden, daß irgend
etwas auf Terra zu einem vermehrten Auftreten besonders begabter Menschen geführt
hat.
Die Forschung, die sich damit beschäftigt, ist noch jung, doch nimmt sie
an, daß es - auch wenn der genaue Zeitpunkt des Beginns unbekannt ist -
einen primären Zusammenhang mit der verstärkten galaktischen Hintergrundstrahlung,
den Veränderungen des Magnetfelds und den Hyperraumstürmen gibt.
Mag all dies mit der Rückkehr Drakhons ins angestammte Universum verschwunden
sein, so sind die Nachwirkungen und Folgen doch geblieben und nicht mehr wegzudiskutieren:
Es gibt eine erkleckliche Zahl von Menschen (und wahrscheinlich auch von Individuen
anderer galaktischer Rassen), bei denen der über Generationen hinweg anhaltende
Einfluß der Strahlung offenbar zu einem Entwicklungssprung geführt
hat.
Mit anderen Worten: Einzelne Menschen haben eine höhere Sprosse auf der
Evolutionsleiter erklommen. Sie mögen nicht klüger sein, zumindest
nicht zwangsläufig, aber ihr Denken ist anders, und ihre jeweiligen Talente
erheben sie automatisch über "normale" Terraner.
Schon vor Juanita gab es Beispiele, die auf eine solche Entwicklung hindeuteten.
Wir erinnern uns an die ins Giant-System entführten Menschen, deren Kinder
vom CAL "gefördert" wurden, etwa die Level-10-Qualifikanten Pia, Edgar und
Tyler.
Doch die Spur führt noch viel weiter zurück: Denn was ist mit Arc Doorns
vielfach zum Ausdruck gekommener Begabung, Fremdtechnik "intuitiv" zu begreifen?
Wobei man sich fragen muß, was "Intuition" letztlich ist. Beruht sie nicht
normalerweise auf Erfahrungswerten, die man sich im Laufe des Lebens erworben
hat? Aber wie kann ein Mensch, der fest verwurzelt war in der - man verzeihe
mir den Ausdruck - primitiven Technologie des 21. Jahrhunderts, also vor der
Begegnung mit der Mysterioustechnik, wie kann solch ein Mensch die Hightech aller
möglichen galaktischen Spezies durchschauen, mag sie auch noch so fremdartig
sein?
Neben Doorn gibt es sicherlich noch andere, die sich auf diese Weise hinterfragen
ließen: die Snide-Zwillinge etwa.
Zur Schulung und Betreuung der minderjährigen Begabten wurde unter anderem
in Tycho City auf dem Mond eine Einrichtung geschaffen. Man ist sich des Potentials
und der möglichen Konflikte, die mit diesen besonderen Menschen verbunden
sind, offenbar bewußt - und bestrebt, ihre Fähigkeiten, in die nach
menschlichen Moralvorstellungen richtigen Bahnen zu lenken.
Bei anderen Völkern irgendwo in der Milchstraße mag es andere Wege,
andere Zielsetzungen geben, und niemand kann ausschließen, daß daraus
eines Tages nicht eine immense Gefahr für den galaktischen Frieden erwachsen
wird.
Zu bannen gilt es zunächst die Gefahr in den eigenen Reihen. Jeder Mensch
ist ein Individuum. Nicht alle Sonderbegabten stehen auch ethisch-moralisch über
ihren Mitmenschen.
Mit Hilfe des Robonenspürers ist es gelungen, viele Betroffene ausfindig
zu machen und ihnen Hilfe anzubieten. Aber es gibt sicher eine Dunkelziffer,
die von den Geräten nicht erfaßt oder anderweitig augenfällig
wurde.
Es scheint, als sei die Zahl der Ausnahmeerscheinungen noch sehr gering - aber
dies kann sich mit der nächsten Menschengeneration schon dramatisch ändern.
Toleranz und Verständnisfähigkeit der alten und der neuen Fraktionen
würden dann sicherlich auf eine harte Probe gestellt, wenn die Höherentwickelten
einen zahlenmäßigen Anteil erlangten, der sie zum Staat im Staate
werden ließe.
Mit einem solchen Konfliktstoff fertig zu werden, würde viele innergalaktische
Probleme wahrscheinlich weit in den Schatten stellen. |