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thema Risiko Raumfahrt
Riskanter Flug mit der Raumfähre
von Hajo F. Breuer
Noch in diesem Monat wird die NASA nach mehr als zwei Jahren Pause mit
der »Discovery« wieder eine Raumfähre ins All schießen.
Ich erinnere mich noch gut an den Absturz der »Columbia« im
Jahr 2003: Wir hatten uns an jenem Samstag zur Autorenkonferenz getroffen,
um den aktuellen Bitwar-Zyklus zu diskutieren. Gegen 16 Uhr war die Konferenz
beendet. Ich nahm Achim Mehnert im Auto mit nach Hause. Als ich das Radio
einschaltete, um Verkehrsfunk zu hören, erfuhren wir von dem Absturz.
Damals hatte sich beim Start der Fähre ein Stück Isolierschaum vom
Außentank gelöst und einige Hitzeschutzkacheln an der Unterseite
der Fähre durchschlagen. Das war zunächst unerkannt geblieben. Erst
beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre hatte die fehlende Hitzeisolierung
dafür gesorgt, daß zuerst ein Loch in die Tragfläche gebrannt
und die Raumfähre dann völlig zerrissen wurde.
Mehr als zwei Jahre lang mußten die drei verbliebenen Raumfähren
der NASA am Boden bleiben, Umbaumaßnahmen sollten sie sicherer machen
und weitere Katastrophen verhindern. Doch ist das tatsächlich gelungen?
Ich bin skeptisch.
Das Konzept der Raumfähren geht auf die frühen 70er-Jahre zurück
und konnte niemals wie geplant umgesetzt werden. Ursprünglich sollten
die Raumfähren spätestens zwei Wochen nach der Landung wieder einsatzbereit
sein. Doch dieses Ziel wurde nie erreicht. Für einen sicheren Routinebetrieb
ist die bei den Fähren verwendete Technik schlicht und ergreifend zu explosiv.
Das beginnt schon mit den Feststoffraketen, die rechts und links am Außentank
montiert sind und ein Abheben der Fähre überhaupt erst ermöglichen.
Vom Prinzip her sind sie nichts anderes als Feuerwerksraketen: Einmal gezündet,
brennen sie, bis sie von selbst erlöschen. Die Schubleistung dieser Raketen
ist weder regel- noch abschaltbar. Deswegen werden sie auch erst einige Sekunden
nach dem Haupttriebwerk der Fähre gezündet, wenn feststeht, daß es
problemlos arbeitet. Erst dann hebt die Fähre ab – und muß nun
auf Gedeih und Verderb fliegen. Ein Abbruch des Starts ist jetzt nicht mehr
möglich.
Eine defekte Dichtung an der Hülle einer dieser Raketen führte 1986
zum Absturz der »Challenger«: Ein Feuerstrahl trat aus, und es
kam schließlich zur Explosion des großen Außentanks. Das
Problem mit diesen Dichtungen konnte offenbar erfolgreich behoben werden.
Ebenfalls behoben wurden Probleme, die beim Absprengen der ausgebrannten Feststoffraketen
auftraten: Neue Bolzenfänger verhindern effektiv, daß herumfliegende
Bolzen die Fähre beschädigen. Weiterhin wurde viel unternommen, um
Eisbildung am Außentank und an den Treibstoffleitungen zu verhindern.
Auch beim Start abgesprengtes Eis kann den empfindlichen, aber überlebenswichtigen
Hitzeschutz der Raumfähre beschädigen.
Doch das Grundproblem, das zum Absturz der »Columbia« führte,
wurde nicht behoben: die Umhüllung des Außentanks mit Isolierschaum.
Das, was wir als Außentank sehen, ist eine aerodynamische Verkleidung
aus drei Millimeter dünnem Aluminium für die beiden eigentlichen
Tanks, die flüssigen Wasserstoff und als Oxydationsmittel flüssigen
Sauerstoff aufnehmen. Der Treibstoff des Fähren-Haupttriebwerks ist also
Knallgas.
Um es in ausreichender Menge mitnehmen zu können, muß das Gas verflüssigt
werden: Der Sauerstoff ist auf minus 183 Grad Celsius heruntergekühlt,
der Wasserstoff sogar auf minus 253 Grad Celsius, nicht einmal 20 Grad über
dem absoluten Nullpunkt. Damit sich das Gas nicht sofort wieder erwärmt,
sich ausdehnt und die Tanks zerstört, ist die Hülle mit insgesamt
2,2 Tonnen Isolierschaum besprüht. Der hält den Tankinhalt bei bis
zu 46 Grad Celsius auf der Startrampe und bis zu 650 Grad Celsius im Flug kühl.
Die enormen Temperaturen und der extreme Luftwiderstand im Flug, denen dieser
Schaumstoff ausgesetzt ist, haben ihn immer wieder spröde werden und in
Teilen abreißen lassen. Ein solches Stück Schaumstoff, das mit mehr
als 850 Stundenkilometern auf die Unterseite der »Columbia« prallte,
verursachte den Schaden, der zum Verlust der Fähre führte.
Man hat das Verfahren der Tankbeschichtung verändert: Heute werden größere
Teile des Tanks schon ab Werk maschinell eingeschäumt, was dem Isoliermaterial
mehr Widerstandsfähigkeit geben soll. Man stellt sich allerdings die Frage,
weshalb ein Flugkörper, der noch innerhalb relativ dichter Atmosphäreschichten
die Schallmauer durchbricht, eine Außenhaut aus Isolierschaum hat. Konnte
man die Aluminiumhülle des Außentanks nicht einige Zentimeter größer
bauen und den Isolierschaum innen auftragen?
Nein. Denn während das Gewicht des Schaums annähernd gleichgeblieben
wäre, hätte die größere Hülle des Tanks kräftig
an Gewicht zugelegt. Die Raumfähren der NASA aber waren von Anfang an »auf
Kante genäht«, ein extremeres Stück Technik selbst als die
Formel 1. Doch während sich heute jeder Rennprofi weigern würde,
in einem Auto der 70er-Jahre sein Leben aufs Spiel zu setzen (immerhin starben
damals durchschnittlich zwei bis drei Rennfahrer pro Saison), haben die Astronauten
der NASA nichts anderes als dieses im Prinzip völlig überholte Fluggerät,
das auch nicht mehr Sicherheit bietet als Niki Laudas Rennwagen, in dem er
1976 auf dem Nürburgring fast verbrannt wäre.
Man kann nur hoffen, daß beim baldigen Neustart der »Discovery« alles
glattgehen wird. Eine Garantie dafür gibt es nicht. Und eine neue Raumfähre
(»CEV«) steht erst für das Jahr 2014 in Aussicht.
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